Etwas vereinfachend kann man sagen, dass sich die Molekulargenetik mit denjenigen Erbgutveränderungen befasst, die zu klein sind, um im Mikroskop erkennbar zu sein.
Die molekulargenetischen Techniken ermöglichen uns, die einzelnen DNA-Elemente Ihrer Erbinformation (die Basenpaare) – wie die Buchstaben in einem Buch – abzulesen. Um bei der bildlichen Sprache zu bleiben, kann man sich die gesamte Erbinformation eines Menschen wie ein Buch vorstellen: Es hat 3 Milliarden Buchstaben (Basenpaare) und ist in 46 Kapitel (Chromosomen) unterteilt. Wie bei dem Inhalt eines jeden Buches ist nicht der gesamte Text relevant, sondern besteht hauptsächlich aus Rahmenwerk (DNA ohne bekannte Information) mit nur einige Fakten (die Gene).
Molekulargenetik
Untersuchung der Erbinformationen mittels Hochdurchsatz-Sequenzierung (Next Generation Sequencing)
Abgleich von gesunden und pathologischen Genabweichungen
Kommt es nun in den Genen zu Schreibfehlern (Mutationen, Varianten), entstehen eventuell Schäden. Dabei sind aber die meisten Variationen natürlich, schließlich ist jeder von uns einmalig in seinen körperlichen Merkmalen, seinem Charakter und seinen Talenten. Um abgrenzen zu können, welche der Variationen pathologische Konsequenzen haben, steht für Vergleichszwecke ein Register zur Verfügung, das die vollständige Erbinformation von mehr als 71.000 anonymen Personen enthält. Quasi ein Katalog für natürliche im Menschen vorkommende Varianten (Link zu https://gnomad.broadinstitute.org). Genauso gibt es einen seit Jahrzehnten wachsenden Katalog an bekannten Fehlern (Mutationen) (Link zu https://www.clinicalgenome.org/data-sharing/clinvar/), die ursächlich für Erkrankungen sind oder dazu beitragen.
Bislang bedurfte es zum sinnvollen Einsatz molekulargenetischer Teste eines konkreten Diagnoseverdachtes. Man musste bereits eine Vermutung haben, um welche Krankheit es sich handeln könnte. Auf dieser Grundlage wurde dann entschieden, welches der ca. 24.000 verschiedenen Gene untersucht wird, über die jeder Mensch verfügt.
Hochdurchsatz-Sequenzierung oder Next Generation Sequencing (NGS)
Die in jüngster Zeit entwickelten molekulargenetischen Methoden erlauben, das gesamte Erbgut auf krankheitsauslösende Veränderungen zu „scannen“. Hier ist vor allem die Hochdurchsatz-Sequenzierung „Next Generation Sequencing“ (NGS) zu nennen, die einen wichtigen technischen Durchbruch darstellt. Bei dem NGS werden nicht wie früher einzelne Gene untersucht, stattdessen ermöglicht sie, alle relevanten Gene, die bisher einer Krankheit zugeordnet wurden, gleichzeitig zu analysieren (sogenannte Panel-Diagnostik).
NGS ermöglicht als zuverlässige Hochdurchsatztechnik eine Suche nach genetischen Änderungen, die bisher nicht bekannt sind und die mit anderen Techniken nicht oder nur mit erheblichem Aufwand zu finden wären. Dadurch ermöglicht sie eine zeitnahe und kosteneffiziente Diagnostik als Teil der personalisierten Medizin.
Qualitätsstufen der NGS-Diagnostik
Je nach klinischer Fragestellung werden unterschiedliche Stufen der diagnostischen Tiefe (Qualitätsstufen A-C) angewendet; siehe „S1-Leitlinie: Molekulargenetische Diagnostik mit Hochdurchsatz-Verfahren der Keimbahn, beispielsweise mit Next Generation Sequencing“ und „Guidelines for diagnostic next-generation sequencing“ (Matthijs et al., Eur J Hum Genet. 2016 Jan;24(1):2-5).
Diese stellt den höchsten mittels Next Generation Sequencing erreichbaren Qualitätsstandard dar. Es wird eine >99,9-prozentige Detektionsgenauigkeit und 100-prozentige Abdeckung (mindestens 20-fach) der kodierenden und flankierenden intronischen Bereiche (+/- 5 bp) garantiert. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt umfasst diese Kategorie im MVZ die Analyse von bekannten, hoch-penetranten Genen für klar umschriebene Krankheitsbilder (z. B. BRCA1, BRCA2, Muskeldystrophie Duchenne / Becker-Kiener ID 20 und Hereditäres Nicht-Polypöses Kolorektales Karzinom / Lynch-Syndrom ID 99). Komplettiert wird die Diagnostik mit einer Analyse auf genomische Deletionen und Duplikationen sowie ggf. weiteren Analysen (z. B. Homopolymer Analysen, spezifische Long-Range PCR).
Analysen dieser Kategorie umfassen alle unsere Gen-Panels, die mit einer >99,9-prozentigen Detektionsgenauigkeit sequenziert werden. Unsere diagnostischen Kriterien erfordern zusätzlich, dass eine Sequenziertiefe von über 20 Sequenzen pro Base in mindestens 98 % der untersuchten Bereiche gesichert ist. Die Information, welche Bereiche individuell unzureichend abgedeckt sind, wird in einer Tabelle dargestellt. Eine Komplettierung einzelner oder mehrerer Gene per Sanger Sequenzierung und gegebenenfalls eine zusätzliche Dosisanalyse ausgewählter Gene kann angefragt werden.
Unter diese Qualitätskategorie fallen Analysen wie z.B. das „Clinical Exome“ ID 112 und das „Whole Exome Sequencing“ ID 165. Unsere diagnostischen Kriterien erfordern hier, dass eine Sequenziertiefe von über 20 Sequenzen pro Base in mindestens 97 % der untersuchten Bereiche gesichert ist. Die Information, welche Bereiche individuell unzureichend abgedeckt sind, kann angefordert werden.
„Core“-Gene beziehen sich auf ein oder mehrere klinische Kernsymptome und umfassen alle erforderlichen Gene, die zwingend bei einer diagnostischen Abklärung vollständig und in hoher Qualität untersucht und beurteilt werden müssen. Siehe S1-Leitlinie: Alle „Core“-Gene sind mit sehr hoher Qualität (durchweg hohe Qualitätsparameter und in der Regel vollständige technische Abdeckung der Zielregion zu mindestens 99 % (Matthijs et al., Eur J Hum Genet. 2016 Jan;24(1):2-5)) zu analysieren.