Erblicher Darmkrebs

Genetische Untersuchung des Gewebes und Bluts von erkrankten Familienmitgliedern

Darmkrebs gehört zu den häufigsten Tumorerkrankungen in Deutschland. 3 bis 5 % aller Darmkrebserkrankungen lassen sich auf eine bekannte Veränderung in einzelnen Genen (Mutation) zurückführen, die eine wichtige Funktion bei der Steuerung des Zellzyklus und der Reparatur von DNA-Schäden haben. Solche Mutationen werden von einem Elternteil (oder seltener von beiden Elternteilen) vererbt und sind schon von Geburt an in allen Körperzellen einer Person vorhanden. Trägerinnen/Träger einer solchen Mutation können bereits in jungen Jahren von Darmkrebs oder anderen Tumorerkrankungen betroffen sein.

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Hinweise

Hinweise auf das Vorliegen eines erblichen Tumorsyndroms ergeben sich aus der eigenen Krankengeschichte und der Familiengeschichte:

  • ein junges Erkrankungsalter (Darmkrebs vor dem Alter von 50 Jahren),
  • wenn eine Person mehrmals im Laufe des Lebens an Darmkrebs erkrankt,
  • oder wenn eine familiäre Häufung von Darmkrebs oder bestimmten anderen Tumorerkrankungen auftritt.

Überprüfung des Verdachts anhand genetischer Untersuchungen

Besteht anhand dieser Kriterien der Verdacht auf erblichen Darmkrebs, kann mit Hilfe genetischer Untersuchungen an Tumorgewebe und Blutproben dieser Verdacht weiter überprüft werden. Idealerweise werden diese genetischen Untersuchungen bei einer erkrankten Person durchgeführt. Ist eine krankheitsverursachende Mutation identifiziert worden, ist die Diagnose eines erblichen Tumorsyndroms gestellt.

Den gesunden Familienmitgliedern kann dann im Rahmen einer genetischen Beratung eine prädiktive (vorhersagende) Testung angeboten werden: Anlageträgerinnen und Anlageträger (also gesunde Personen, die die Mutation tragen) können früh erkannt werden und ihnen können spezielle, engmaschige Vorsorgeuntersuchungen angeboten werden, um einen möglichen Tumor frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Diejenigen Familienmitglieder, bei denen die familiäre Mutation ausgeschlossen werden konnte, haben kein erhöhtes Darmkrebsrisiko. Sie sollten aber die Vorsorgeuntersuchungen wie jede andere Person der Bevölkerung auch wahrnehmen.

Lynch-Syndrom oder Polyposis-Syndrom

Grundsätzlich kann zwischen erblichem Darmkrebs ohne Polyposis (hereditäres nicht polypöses Kolonkarzinom, HNPCC oder Lynch-Syndrom) und den erblichen Polyposis-Syndromen unterschieden werden. Die häufigste Form des erblichen Darmkrebses ist das Lynch-Syndrom bzw. HNPCC, etwa 3 % aller Darmkrebserkrankungen gehen auf HNPCC zurück. Patientinnen/Patienten mit Lynch-Syndrom haben zusätzlich zum Risiko für Darmkrebs auch ein erhöhtes Risiko für andere Krebserkrankungen wie den Gebärmutterschleimhautkrebs (Endometriumkarzinom) sowie Tumoren des Magens, des Dünndarms, der Bauchspeicheldrüse, der ableitenden Harnwege, des ZNS, der Eierstöcke und der Haut. Das Lynch-Syndrom wird autosomal-dominant vererbt, d. h. Kinder von Betroffenen erben die ursächliche Mutation mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % und tragen dann ebenfalls das erhöhte Tumorrisiko. Aber nicht jede Anlageträgerin bzw. jeder Anlageträger erkrankt auch tatsächlich an einem Tumor. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an Darmkrebs zu erkranken, liegt bei 50 bis 70 %. Ursächlich für das Lynch-Syndrom sind Mutationen in den DNA-Reparaturgenen MLH1, MSH2, MSH6 und PMS2.

Die Stammbaumanalyse – Indikator für eine molekulargenetische Gewebeuntersuchung

Aus der Erfahrung mit Familien mit gehäuftem Darmkrebs wurden Kriterien entwickelt, die es wahrscheinlich machen, dass ein Lynch-Syndrom vorliegt, die sog. Amsterdam-Kriterien. Maximal 60 % der Patienten mit einer Mutation in einem der DNA-Reparaturgene erfüllen die Amsterdam-Kriterien. Zur Erfassung der übrigen Patienten gelten die Bethesda-Kriterien als Indikation zur molekulargenetischen Analyse des Tumorgewebes.

  • mindestens drei Familienangehörige mit histologisch gesichertem kolorektalen Karzinom
  • einer davon Verwandter ersten Grades
  • Erkrankungen in mindestens zwei aufeinander folgenden Generationen
  • mindestens ein Patient mit der Diagnose des kolorektalen Karzinoms vor dem 50. Lebensjahr
  • Ausschluss einer Familiären Adenomatösen Polyposis coli (FAP)
  • mindestens drei Familienangehörige mit HNPCC-assoziiertem Karzinom (Kolon / Rektum, Endometrium, Dünndarm, Nierenbecken/Ureter, Magen)
  • einer davon Verwandter ersten Grades
  • Erkrankungen in mindestens zwei aufeinander folgenden Generationen
  • mindestens ein Patient mit der Diagnose eines Karzinoms vor dem 50. Lebensjahr
  • Ausschluss einer Familiären Adenomatösen Polyposis coli (FAP)
  • kolorektales Karzinom bei einem Patienten, Erstdiagnose vor dem 50. Lebensjahr
  • synchrone/metachrone Kolon- / Rektumkarzinome oder HNPCC-assoziierte Karzinomerkrankungen (Endometrium, Nierenbecken/Ureter, Dünndarm, Magen, Pankreas, Gallengang, Ovar, hepatobiliäres System und Gehirn – üblicherweise Glioblastome, Talgdrüsenadenome und Keratoakanthome), unabhängig vom Alter
  • kolorektales Karzinom mit MSI-H-typischer Morphologie, diagnostiziert bei einem Patienten vor dem 60. Lebensjahr
  • Patient mit kolorektalem Karzinom und mindestens einem erstgradig Verwandten mit einem HNPCC-assoziierten Tumor (s. o.), mit mindestens einem Tumor, dessen Erstdiagnose vor dem 50. Lebensjahr gestellt wurde
  • Patient mit kolorektalem Karzinom und mindestens zwei erst- oder zweitgradig Verwandten mit HNPCC-assoziierten Tumoren (s. o.), unabhängig vom Erkrankungsalter

Diagnostik

Wird im Rahmen einer humangenetischen Beratung aufgrund der Eigen- und Familiengeschichte der Verdacht auf ein Lynch-Syndrom geäußert, dann wird im nächsten Schritt das Tumorgewebe einer betroffenen Person bzgl. Mikrosatelliteninstabilität und immunhistochemisch untersucht. Zeigt sich hierbei ein auffälliger Befund, werden dann an einer Blutprobe des Betroffenen die für HNPCC ursächlichen Gene untersucht.