Reproduktionsmedizin

Aufklärung von Fruchtbarkeitsstörungen

Mehr als ein Drittel aller Ursachen für eine Fruchtbarkeitsstörung ist auf den ersten Blick nicht eindeutig zuzuordnen und kann teilweise erst durch eine ergänzende humangenetische Beratung näher aufgeklärt werden. Dies kann chromosomale, aber auch andere genetische Ursachen haben.

Durchschnittlich sind bei allen gesunden Menschen zwei bis drei erbliche Erkrankungen versteckt angelegt. Diese werden beim Kind nur klinisch relevant, wenn beide Eltern zumindest eine Anlage aufweisen. Davon gibt es eine Vielzahl von meist sehr seltenen Gendefekten (s. a. erweitertes Carrier-Screening). Besondere Konstellationen, z. B. Blutsverwandtschaften, aber auch die Unfruchtbarkeit selbst können ein deutlich höheres Erkrankungsrisiko bedeuten. So tragen ungefähr 15 % aller erblich bedingten Erkrankungen auch zu einer Infertilität bei. Dies hat überwiegend einen multifaktoriellen genetischen Hintergrund. Durch die Vielzahl der daran beteiligten Gene war bisher eine genauere Diagnose meist nur begrenzt möglich. Über neuere molekulargenetische Methoden wie das Next Generation Sequencing (NGS) ist jedoch zunehmend eine präzisere Aussage möglich. Damit eröffnen sich auch verbesserte Therapiemöglichkeiten im Bereich der Reproduktionsmedizin (ART).

Unerfüllter Kinderwunsch

Genetisch bedingte Fruchtbarkeitsstörungen bei Frau und Mann

Eingeschränkte Ovarialfunktion

Chromosomale Störungen wie die Trisomie X (47,XXX, 1:1000), das Ullrich-Turner-Syndrom (45,X; 1:2500) oder balancierte Translokationen schränken die Ovarialfunktion zum Teil deutlich ein. Dazu tragen auch Gendefekte wie das Fragile-X-Syndrom (FMR1-Gen, 1:2500) bei. Das Fragile-X-Syndrom tritt vor allem – jedoch nicht ausschließlich – bei Männern auf. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch geistige, sprachliche und motorische Entwicklungsstörungen, die mit auffälligen Verhaltens- und Gehirnfunktionen einhergehen können, wie z. B. Autismus oder Epilepsie.

Die Ovarialfunktion ebenfalls einschränken kann das teilweise dominant vererbte Kallmann-Syndrom (X-gebunden, 1:8000). Die ovarielle Genese wird jedoch von einer Vielzahl von Genen orchestriert, deren Fehlfunktion zu einer frühen Menopause führen kann (Prämature Ovarialinsuffizienz, POF). Dies rechtzeitig zu erkennen, hat eine wesentliche Bedeutung für die weitere Familienplanung.

Zu den häufigsten ovariellen Störungen (1:15) gehört das Polycystische Ovarsyndrom (PCOS), welches meist auch familiär gehäuft auftritt. Es hat ebenfalls eine multifaktorielle Genese und ist mit einer Reihe von Begleiterkrankungen verbunden. Auch postovarielle Organstörungen wie die Vaginal-Uterusaplasie (MRKH-Syndrom, 1:4500) scheinen einen erblichen Hintergrund zu haben.

Eingeschränkte Spermiogenese

Chromosomale prätestikuläre Fertilitätsstörungen führen zu einer eingeschränkten Spermiogenese (OAT-Syndrom). Bei 5 % aller Männer findet man eine balancierte strukturelle Chromosomenaberration. Das Klinefelter-Syndrom (47, XXY, 1: 660) und das Double Y-Syndrom (47, XYY, 1:1000) oder das Kallmann-Syndrom (X-gebunden, 1:8000) kommen dabei seltener vor.

Testikuläre chromosomale Störungen sind vererbbar und mit Mikrodeletionen am Y-Chromosom (AZF, 1:2500) verbunden; sie können eine Azoospermie oder eine deutlich eingeschränkte Spermienanzahl bewirken. Eine relativ häufige männliche Fertilitätsstörung, der Kryptorchismus (1:50), wird zunehmend in Zusammenhang mit einer genetischen Fehlfunktion (INSL3; LGR8) gebracht.

Auch das seltenere Noonan-Syndrom (1:2000) wird oft mit einem Hodenhochstand beobachtet. Daneben gibt es auch hier eine Vielzahl seltener genetischer Störungen. In ca. 2 % aller infertilen Männer finden sich genetisch bedingte posttestikuläre Veränderungen der Samenleiter: eine Congenitale Bilaterale Aphasie des Vas deferens (CBAVD) oder seltener eine Congenitale Unilaterale Aphasie des Vas deferens (CUAVD), die eine milde Ausprägung der Cystischen Fibrose (Mukoviszidose) sein kann. Hier liegt eine mutationsbedingte, autosomal rezessiv vererbbare Funktionsstörung des CFTR-Proteins (1:3300-4800) zugrunde.