Reproduktionsmedizin

Aufklärung von Fruchtbarkeitsstörungen

Mehr als ein Drittel aller Ursachen für eine Fruchtbarkeitsstörung ist auf den ersten Blick nicht eindeutig zuzuordnen und kann teilweise erst durch eine ergänzende humangenetische Beratung näher aufgeklärt werden. Dies kann chromosomale, aber auch andere genetische Ursachen haben.

Durchschnittlich sind bei allen gesunden Menschen zwei bis drei erbliche Erkrankungen versteckt angelegt. Diese werden beim Kind nur klinisch relevant, wenn beide Eltern zumindest eine Anlage aufweisen. Davon gibt es eine Vielzahl von meist sehr seltenen Gendefekten (s. a. erweitertes Carrier-Screening). Besondere Konstellationen, z. B. Blutsverwandtschaften, aber auch die Unfruchtbarkeit selbst können ein deutlich höheres Erkrankungsrisiko bedeuten. So tragen ungefähr 15 % aller erblich bedingten Erkrankungen auch zu einer Infertilität bei. Dies hat überwiegend einen multifaktoriellen genetischen Hintergrund. Durch die Vielzahl der daran beteiligten Gene war bisher eine genauere Diagnose meist nur begrenzt möglich. Über neuere molekulargenetische Methoden wie das Next Generation Sequencing (NGS) ist jedoch zunehmend eine präzisere Aussage möglich. Damit eröffnen sich auch verbesserte Therapiemöglichkeiten im Bereich der Reproduktionsmedizin (ART).

Erweitertes Carrier-Screening (ECS)

Untersuchung der elterlichen Gene auf Anlageträgerschaft für schwerwiegende Erkrankungen

Im Vorfeld der Familienplanung gewinnt zunehmend das erweitere Carrier-Screening an Bedeutung. Dabei wird bei beiden Partnern untersucht, ob bei Ihnen eine Anlageträgerschaft für eine schwerwiegende (rezessiv vererbte) Erkrankung vorliegt. Je nachdem, ob die Anlage für die Erkrankung auf einem X-Chromosom liegt oder auf einem der Chromosomen 1-22, könnte sich rezessive vererbte Erkrankung manifestieren. Bei einer Anlage auf den Chromosomen 1-22 zeigt sich die rezessive Erkrankung nur dann, wenn beide elterliche Genkopien verändert sind.

Liegt die Anlage für die Erkrankung auf dem X-Chromosom, zeigen nur die männlichen Nachkommen die Symptome, da die genetische Veränderung nicht wie im weiblichen Geschlecht durch eine Genkopie auf dem zweiten X-Chromosom kompensiert werden kann.

Auch wenn die Vorkommen einzelner rezessiver Erkrankungen jeweils gering erscheint, machen diese auf Grund der insgesamt großen Zahl (weit über 1000 Erkrankungen) doch einen relevanten Anteil genetisch bedingter Erkrankungen im Kindesalter aus.

Insbesondere bei unerfülltem Kinderwunsch, Blutsverwandtschaft oder unklaren familiären Erkrankungen ist diese Diagnostik in Kombination mit einer genetischen Beratung grundsätzlich sehr sinnvoll. Dabei wird momentan bei uns ein Panel mit 640 Genen untersucht mittels Comparativem Heterozygoten-Screening, NGS.

Comparatives Heterozygoten-Screening oder Next Generation Sequenzing NGS

Frauen können vor einer  geplanten Schwangerschaft (zusammen mit ihrem Partner) ein Carrier-Screening durchführen lassen. Dies gibt darüber Auskunft, inwiefern die zukünftigen Eltern Träger einer rezessiven Anlage sind, die bei Kindern schwerwiegende Erkrankungen auslösen würden.

In der Allgemeinbevölkerung geht man davon aus, dass im Durchschnitt eine Person Träger von ca. zwei bis drei Mutationen ist, die ursächlich für eine Erkrankung aus dem autosomal rezessiven Formenkreis sein können.1 Dies bedeutet, die Person ist Anlageträger für eine Mutation auf einem entsprechenden Gen (Allel), die zweite Genkopie (diploider Chromosomensatz) ist aber intakt. Dadurch bedingt entwickelt er/sie in der Regel keine Symptome.

Wenn beide Partner nun zufällig Anlageträger für dieselbe autosomal rezessiv vererbte Erkrankung sind (ca. 1 % bei nicht verwandten Paaren), haben gemeinsame Kinder (geschlechtsunabhängig) ein Risiko von 25 % von beiden Eltern die Mutation zu erben und Symptome der entsprechenden Erkrankung zu entwickeln. In den meisten Fällen (wenn nicht schon Personen in der Familie erkrankt sind) weiß man nicht, ob und für welche Erkrankungen man Anlageträger ist.

Eine Testung der zukünftigen Eltern auf eine solche Anlageträgerschaften kann bei erhöhtem Risiko (z. B. Blutsverwandtschaft des Paares oder rezessive genetisch nicht definierte Erkrankungen in der Familie) in Kombination mit einer genetischen Beratung einen wichtigen Beitrag zur Familienplanung darstellen.

1 Bell et al., Sci Transl Med. (2011)Vol 3, Issue 65, p 65